Warum Farjunda aus Kabul gelyncht wurde

farjundaSie habe eine Koran-Ausgabe verbrannt, sagen angebliche Zeugen. Sie sei psychisch krank gewesen, sagt ihr Vater. Vermutlich stimmt nichts von alledem.

Kabul am vergangenen Donnerstag: Dutzende Männer stürzen sich auf die junge Frau, schlagen sie zusammen, trampeln auf ihr herum. Polizisten sind anwesend. Auf Fotos kann man sehen, wie sie zeitweise sogar um Farjunda (27) herumstehen. Am Ende haben sie sich wohl zurückgezogen und die Frau ihrem Schicksal überlassen.

Farjunda stirbt. Geschlagen, getreten, von einem Auto überrollt, von einem Gebäude gestürzt, und schließlich am Flussufer – nach ihrem Tod – angezündet, dabei fortwährend von sensationsgeilen „Bürgerreportern“ gefilmt. Aber warum?

Streit mit Amulettverkäufern

Sie habe eine Koranausgabe angezündet, behaupten Zeugen zu Anfang. Sie sei psychisch krank gewesen, behauptet ihr Vater kurz nach dem Mord – das soll vermutlich eine Entschuldigung dafür sein, dass sie auf die Idee gekommen sein könnte, einen Koran zu verbrennen.

In Wahrheit ist es Zeugenaussagen zufolge eher so gewesen: Farjunda, ist eine intelligente junge Frau, die auffällt. Sie hat Religionswissenschaft studiert und ist keineswegs psychisch krank.

Ihr Bruder sagt dem Guardian, die Polizei habe ihren Vater nach dem Mord gewarnt: Andere könnten es nach der angeblichen Koran-Verbrennung auf die ganze Familie abgesehen haben. Sie sollten besser alle fliehen. Das will der verzweifelte Vater verhindern. Also erfindet er in seiner Not die Geschichte von der psychischen Erkrankung.

Und der verbrannte Koran? Den hat es offenbar nie gegeben. Kurz vor dem Mord sei sie mit Amulettverkäufern in Streit geraten, heißt es jetzt. Sie habe Frauen vor einem Schrein gesagt, sie sollten ihr Geld nicht für Amulette verschwenden. In dem darauffolgenden Streit hätten die Verkäufer, die Beschuldigung aufgebracht – wohl wissend, was sie damit auslösen.

Der Chefermittler des afghanischen Innenministeriums, General Mohammad Sahir, sagt jedenfalls, es gebe keinerlei Hinweise auf einen verbrannten Koran. „Sie ist völlig unschuldig“, so der General (als ob sie „schuldig“ gewesen sei und ihr Schicksal verdient hätte, wenn sie ein Buch verbrannt hätte – aber das nur nebenbei, der Mann muss ja auch mit seiner Umwelt zurecht kommen).

Am Sonntag wird Farjunda zu Grabe getragen. Hunderte Männer und Frauen geben ihr das letzte Geleit. Frauen tragen den Sarg. Sie sind aufgewühlt. Farjundas Vater behauptet mittlerweile nicht mehr, seine Tochter sei krank gewesen. Er und ihr Bruder bekennen sich zu ihr. Der Polizeigeneral hat 13 Menschen festnehmen lassen, darunter mehrere Polizisten. Der Fall zieht Kreise. Der Präsident gibt ein halbherziges Statement ab.

Doch was für ein Land ist Afghanistan zwölf Jahre nach dem Einmarsch des Westens und dem Versuch, eine menschenfreundliche, tolerante Gesellschaft zu schaffen?  Immerhin eine, in der so ein Lynchmord auffällt und Wellen schlägt. Für alles andere ist wohl noch viel Geduld nötig.